Dienstag, 11. April 2017

Mein Papa









Jetzt ist es bald 6 Monate her, dass mein Vater mit 86 Jahren gestorben ist. Eigentlich wollte ich einen Beitrag über den schmerzhaften Weg des Sterbens und über  das Gefühl des Alleingelassenseins, ob von anderen Menschen oder Behörden, Pflegeeinrichtungen, Ärzten, Krankenhäuser etc.  schreiben.
Aber zwischenzeitlich bin ich der Meinung, dass es niemanden nützt, wenn ich darüber schreibe. Nicht meinem Papa, nicht mir und wahrscheinlich auch niemand anderen. Diese Erfahrung muss vermutlich jeder selbst machen und verarbeiten.

Mir ist es jetzt ein Bedürfnis, über das Leben meines Vaters zu schreiben, da ich nach der Trauer immer mehr mit viel Liebe an ihn zurückdenke, an die vielen schönen Momente, die ich mit ihm haben durfte und an den grossartigen Menschen, der er war.

Mein Papa, wurde 1930 im Böhmerwald geboren. Heute ein Gebiet in Tschechien, damals gehörte es zu Deutschland. Seine Eltern hatten einen Bauernhof mit Feldern und Vieh. Er musste damals von frühester Kindheit mitarbeiten und es war klar, da er der einzige Sohn war, dass er diesen Bauernhof einmal übernehmen würde. In die Schule wurde er nur sporadisch geschickt, da es üblich war, dass Kinder von Bauern wegen der Arbeit sehr oft freigestellt wurden. Einerseits liebte er das freie Leben, wenn er z.B. das Vieh hüten musste. Andererseits hätte er gerne wesentlich mehr gelernt. Er interessierte sich sein ganzes Leben für Geschichte und Geographie und faszinierend war, dass er bis zum Schluss wahrscheinlich am Besten in unserer Familie über diese Themen Bescheid wusste. Auch seine Enkel erstaunte er immer wieder mit seinem Wissen.

Mit 16 Jahren, am Ende des 2.Weltkrieges, wurde mein Vater mit seiner Familie vertrieben. Von heute auf morgen mussten sie mit sehr wenig Gepäck ihren Bauernhof verlassen, wurden in einen Zug gesetzt und nach Deutschland transportiert. Sie landeten in Baden-Württemberg und wurden in ehemaligen Kasernen untergebracht. Lehrstellen gab es wohl keine, und so suchte er sich eine Arbeitsstelle in einer großen Schuhfabrik. Akkordarbeit bestimmte viele Jahre sein Leben. Er hat sich nie beklagt. Später, als er gesundheitliche Probleme bekam, fing er nochmal von vorne an und hatte bis zur Rente einen Bürojob. Wie muss er, der eigentlich ein Leben in und mit der Natur gewöhnt war, sich gefühlt haben, als er in der Fabrik und später im Büro "eingesperrt" war. Er hat es uns nie gesagt.....
Viele Jahre nach der Vertreibung, als man als Vertriebener seine Geburtsorte wieder besuchen durfte (lange Jahre war das nicht erlaubt), ist er auch in seine Heimat gefahren. Er kam sehr traurig zurück. Von dem Bauernhof stand noch eine Mauer, die Felder waren verwildert und nicht bewirtschaftet. Warum hatte man ihnen alles weggenommen? Ich glaube, es wäre für ihn leichter gewesen, wenn die Landwirtschaft von neuen Besitzern weitergeführt worden wäre. Dann hätte er vielleicht noch einen Sinn hinter allem gesehen. Er wollte nie mehr hinfahren.......

Meine Mutter lernte er mit 20 Jahren kennen, sie heirateten, bauten ein Haus mit sehr viel Eigenleistung nach der Arbeit und bekamen 4 Kinder. Aufgrund der daraus resultierenden Platzprobleme wurde, wieder mit viel Eigenarbeit, angebaut. Nie hat mein Papa sich beklagt, dass er zuviel arbeiten musste und eigene Interessen hat er immer hinten angestellt. Er hatte immer Verständnis für uns Kinder und man konnte eigentlich keinen Streit mit ihm haben.
3 Monate vor seinem Tod konnte er noch mit seiner großen Familie die Diamante Hochzeit feiern. 60 Jahre verheiratet - das wird es in unserer Zeit immer weniger geben und dafür hätten meine Eltern eigentlich einen Orden verdient!

Mein Vater war ein sehr ruhiger Mensch und faszinierend war, dass auch später seine Enkelkinder (er hatte 7) und Urenkel (2) ihn immer gern hatten. Ich glaube alle Kinder mochten ihn, weil er ihnen nie das Gefühl gab, dass er etwas Besonderes von ihnen erwartete und sie einfach so mochte, wie sie waren.
Natürlich war er auch keine Übermensch, wenn das sich jetzt auch so anhört. Er konnte ungeheuer stur sein und wenn er etwas nicht machen wollte, dann machte er es eben nicht. Ohne darüber groß zu reden. Und leider redete er auch nicht sehr viel. Er hörte lieber zu. Heute denke ich oft, was er wohl so in seinem Leben für Träume und Wünsche hatte.... Er hat es uns leider nie gesagt.

Ich glaube, meinem Papa hätte es ein bisschen gefallen, wenn er mitbekommen hätte, daß ich über sein Leben geschrieben habe. Er hätte mit seinem feinen Lächeln ungläubig gesagt: " Über MICH hast Du geschrieben?" Und als ich diese Zeilen geschrieben habe, war er mir wieder sehr nah. Ich habe zwar jetzt wieder Tränen in den Augen, aber ich kann zwischenzeitlich mit viel Freude an ihn zurückdenken.